BioAcker und Grünland„Krebs entsteht über Jahrzehnte”

„Krebs entsteht über Jahrzehnte”

Gerichtsmediziner und Biologe Martin Grassberger sagt: „Sie wollen nicht wissen, wie manche Menschen innen aussehen.“
Quelle: privat

LANDWIRT bio: Alzheimer, Parkinson, Diabetes oder Autoimmunerkrankungen – Sie nennen sie die neuen Seuchen. Warum?

Martin Grassberger: Weil sich diese Krankheiten in den letzten Jahrzehnten wie eine ungebremste Epidemie ausgebreitet haben.

Warum diese Zunahme?

Gründe dafür gibt es viele. Mittlerweile ist es wissenschaftlich aber unbestritten, dass die Ernährung der größte modifizierbare Risikofaktor für viele dieser Erkrankungen ist. Vor allem unser Mikrobiom, also die Gesamtheit aller Bakterien in unserem Darm, scheint laut neuesten Erkenntnissen von herausragender Bedeutung bei der Entstehung dieser Krankheiten zu sein.

Was ist schlecht an unserer Ernährung?

Ein großes Problem für unseren Körper sind vor allem simple Kohlenhydrate, wie Weißbrot, Süßgetränke oder schlicht Zucker. Die Folgen sind Übergewicht und irgendwann Diabetes, Alzheimer oder eine andere dieser chronischen Krankheiten.

Mit Zucker gehen Sie im Buch besonders hart ins Gericht. Warum?

Weil wir ein Vielfaches von der Zuckermenge zu uns nehmen, die unser Körper braucht. Die Leber baut die Fruktose im Tafelzucker in Fette um. Ich habe in meinem Berufsleben viele Obduktionen durchgeführt. Sie wollen nicht wissen, wie manche Menschen innen aussehen. Ich habe Fettlebern gesehen, die ähneln den Fettlebern von Stopfgänsen. Viele chronische Krankheiten mit Stoffwechselstörungen der letzten Jahrzehnte sind darauf zurückzuführen.

Was ist dann ein normaler Zuckerkonsum?

Die WHO empfiehlt maximal 5 bis 10 Teelöffel Zucker pro Tag.

Das erreicht man schon mit einer kleinen Tafel Schokolade.

Unser Körper braucht eigentlich gar keinen Zucker über die Nahrung, er baut sich den Zucker selbst aus Aminosäuren. Das Ziel sollte daher sein, so wenig wie möglich zu verwenden. Gefährlich ist vor allem der versteckte Zucker in den Halbfertiggerichten und manchen Getränken.

Ist es nun eine Mär, dass Obst gesund ist? Da ist ja auch viel Zucker enthalten.

Wenn Sie einen Apfel essen, dann ist das aufgrund der Ballaststoffe und Fasern gesund. Trinken Sie hingegen einen Liter Apfelsaft, nehmen Sie Fruchtzucker von unzähligen Äpfeln auf. Sie würden nie so viele Äpfel in so kurzer Zeit essen. Wenn man es sich also zur Gewohnheit macht, jeden Tag einen Liter Fruchtsaft zu trinken, dann tut man seinem Körper langfristig nichts Gutes.

Sie kritisieren auch die Entwicklung der Landwirtschaft. Was hat das mit der Gesundheit zu tun?

Wer die Entwicklung der Landwirtschaft in den vergangenen 50 Jahren verfolgt, erkennt, dass sich hier nicht alles zum Positiven entwickelt hat. Die Landwirte sind einem unwahrscheinlichen Effizienzdruck ausgesetzt. Lebensmittel müssen so billig wie möglich sein – auch wenn es auf Kosten der Gesundheit geht, wie das Thema Pflanzenschutzmittel zeigt.

Was meinen Sie damit?

Wir sind sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Medizin in der Lage, chemische Verbindungen herzustellen, die uns kurzfristig helfen. Das sind Arzneimittel in der Medizin und Pestizide in der Landwirtschaft. Beides hat seine Berechtigung, wenn ich damit einen Notfall abwenden kann. Was ich in beiden Fällen kritisiere, ist der unkritische Einsatz. Jede chemische Substanz hat auch unerwünschte Nebenwirkungen. Insofern stört mich die Rhetorik der Interessenvertreter, wonach eh alles harmlos sei.

Es gibt ja keine wissenschaftlichen Beweise.

Es gibt aber zahlreiche schwerwiegende Hinweise. Krebs entsteht in unserem Körper über Jahrzehnte. Wie kann ich das anhand von Laborratten einwandfrei ohne alternative Erklärung beweisen? Diese Krankheiten brauchen in unserem Körper fast ein Leben lang, bis sie uns dahinraffen. In Frankreich wurde ein Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und der Parkinson-Erkrankung festgestellt. Die französische Regierung hat daher Parkinson als Berufserkrankung von Bauern eingestuft. Glyphosat wirkt übrigens laut Patentschrift des Herstellers auch gegen Bakterien, kann also unser Mikrobiom beeinflussen. Das Spannende dabei: Bei Parkinsonpatienten konnte tatsächlich ein gestörtes Mikrobiom nachgewiesen werden.

Aber es gibt Grenzwerte, die nicht überschritten werden.

Grenzwerte gelten nur für eine Substanz und berücksichtigen nicht das Mikrobiom. Was ist, wenn mehrere Substanzen enthalten sind? Bei Medikamenten wissen wir, dass sich die Wirkung schwer voraussagen lässt, wenn Sie mehrere Medikamente einnehmen. Diese können sich gegenseitig hemmen oder verstärken. Das ist bei allen körperfremden Substanzen so.

Im Buch kritisieren Sie das Wachstum in der Landwirtschaft, schreiben von Turbokühen. Ist Ihnen klar, dass dieses Wachstum ein Symptom einer Gesellschaft ist, die günstige Lebensmittel will?

Das ist mir bewusst. Daher kritisiere ich nicht den einzelnen Landwirt. Es ist eine gesellschaftliche und politische Aufgabe, diese Entwicklung zu stoppen. Dass wir beim Lebensmitteleinkauf ausschließlich auf den eigenen, kurzfristigen Nutzen schauen, ist ein klassisches Beispiel für das Versagen der Gesellschaft – angefeuert vom Lebensmittelhandel mit seinen billigen Eigenmarken.

Was kann man dagegen tun?

Jeder kann etwas dagegen tun. Sie können zum Beispiel beim Direktvermarkter einkaufen.

Das ändert aber nichts am von Ihnen kritisierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

Je mehr Menschen das machen, desto mehr Bauern können sich aus einer vom Weltmarkt beherrschten Landwirtschaft befreien. Vielleicht sind dann Höchsterträge unter Verwendung von Insektiziden, Fungiziden und Herbiziden nicht mehr unbedingt nötig. Aber ich gebe Ihnen recht, dass auch andere Maßnahmen gesetzt werden müssen. Die Politiker können mit Lenkungsmaßnahmen dazu beitragen, dass mehr und mehr Landwirte aus diesem Hamsterrad des Wachstums aussteigen können.

Wie?

Kleine Bauernhöfe bekommen weniger öffentliche Gelder als große Betriebe, weil die Direktzahlungen pro Hektar berechnet werden. Es handelt sich dabei um Steuergelder. Sie kommen also von der Allgemeinheit und sollten für Maßnahmen eingesetzt werden, die der Allgemeinheit zugutekommen. Wenn jemand viel Fläche besitzt, kommt das nicht zwingend der Allgemeinheit zugute. Das sollte man ändern. Außerdem könnte man Fördergelder in Richtung der Erzeugung gesunder Lebensmittel lenken.

Was sind gesunde Lebensmittel?

Lebensmittel, die unser Mikrobiom positiv beeinflussen. Pestizidrückstände und Nahrungsmittelzusatzstoffe können unser Mikrobiom nachhaltig beeinflussen – in der Regel negativ. Wir müssen in der Ernährung weg vom Zucker, vom Weißmehl und von Süßgetränken, hin zu chemisch unbelastetem Gemüse, Vollkornprodukten, Linsen oder Pseudogetreiden sowie weniger, dafür hochqualitativem Fleisch. Diese Beispiele zeigen, dass sich die Landwirtschaft von der getreidebasierten Form wegentwickeln wird.

Wie soll ein Getreidebauer plötzlich Gemüse erzeugen?

Es ist hier die Gesellschaft gefordert und nicht nur der einzelne Landwirt. Sollten wir uns als Gesellschaft entscheiden, gesunde Nahrungsmittel zu essen, dann wird das zu einem höheren Gemüseanteil führen. Wenn wir Gemüse nicht aus Südeuropa und Nordafrika importieren wollen, dann müssen wir es in Österreich produzieren. Ob das für Landwirte zu einer lukrativen Alternative werden kann, hängt auch von der Politik ab, denn sie verfügt über Lenkungsmöglichkeiten. Diese Entwicklung muss aber von der Gesellschaft ausgehen und dazu müssen wir Volksbildung betreiben. Das ist der Ansatz meines Buches.

Im März 2020 erschien die 3. Auflage von Martin Grassbergers Buch.
Quelle: privat

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