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Fleisch bleibt auch in Zukunft gefragt

vlnr: Christian Dürnberger (Messerli Forschungsinstitut, Vet. Med. Wien, Markus Keitzer (Vorstand PHW-Gruppe), Karl Schedle von der BOKU und Michael Blass (AMA-Marketing) gaben einen Einblick, wie sich der Fleischkonsum künftig entwickeln wird. Foto: AMA/APA/Lusser

Beim AMA-Fleischsymposium am 5. Juni 2019 präsentierten Experten aus Wissenschaft und Forschung unterschiedlichste Ansätze und Lösungsvorschläge: Alternative Proteine, pflanzenbasierte Produkte, Fleisch aus Zellkulturen sind nur einige der Schlagworte, die in einem Atemzug mit der wachsenden Weltbevölkerung genannt werden. Gleichzeitig rücken zunehmend ethische Gesichtspunkte in das öffentliche Interesse und auch die Diskussion um die Konkurrenz von Futtermitteln zu Lebensmitteln hält weiter an.

Der öffentlichen Wahrnehmung zum Trotz gibt es laut AMA-Marktforschung kaum Veränderungen in den Ernährungsgewohnheiten der Österreicher. Demnach wird Fleisch nach wie vor gekauft und gegessen. “Mehr als drei Viertel der Befragten stufen sich bei einer Umfrage als Fleischesser ein, 16% als Flexitarier, zwanglos übersetzt als gelegentliche Fleischesser. Die Zahl der Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, hat in den letzten fünf Jahren um lediglich je einen Prozentpunkt zugenommen”, erläuterte Michael Blass, Geschäftsführer der AMA-Marketing.

Landwirtschaft muss Probleme proaktiv kommunizieren

“Die Fleischindustrie und die Landwirtschaft sollen sich nicht davor fürchten, dass in Zukunft möglicherweise weniger Fleisch gegessen wird. Der Konsum wird jedenfalls bewusster”, betonte der Philosoph Christian Dürnberger vom Messerli Forschungsinstitut, Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung, der Partneruniversitäten Vetmeduni Vienna, Medizinische Universität Wien und Universität Wien. Ihm zufolge wird Fleischkonsum gegenwärtig vor allem aus zwei Gründen problematisiert: Zum einen wegen der ökologischen Auswirkungen der Ernährung auf Umwelt und Klima. Es gehe hier um die Frage, inwieweit wird zukünftigen Generationen ein gutes, gelingendes Leben ermöglicht. “Allerdings gibt es hier zurzeit eine neue Dynamik, bei der nicht nur moralische, sondern auch handfeste ökonomische Interessen eine Rolle spielen”, führte Dürnberger aus. Und zum anderen wegen der tierethischen Frage, bei der es darum geht, ob es moralisch vertretbar ist, Tiere zu halten, um sie zu essen. Dürnberger ortet aktuell eine Verlagerung des klassischen Tierschutzes, mit dem Ziel, Lebewesen kein Leid zuzufügen, hin zur Tierwohlgesellschaft für ein gutes Leben dieser Geschöpfe. “Die Bürger fordern zwar mehr Tierwohl, sind aber nicht bereit, mehr dafür zu bezahlen”, ergänzte der Wissenschaftler. Die moderne Gesellschaft tendiere dazu, Tod und Sterblichkeit auszublenden. Derartige Themen würden als unschick, ekelerregend, die man nicht täglich vor Augen haben möchte, gelten. Das sei eventuell ein Grund dafür, warum das Tier “hinter” dem Fleischprodukt gegenwärtig in der Regel kaum noch zu erkennen sei, führte Dürnberger aus.

Außerdem fühlten sich die Menschen einer gewissen Klasse zugehörig, wenn sie sagen, sie essen kein Fleisch. “Die Elite isst wenig Fleisch – (denn) das einfache Volk isst Schnitzel. Diesbezügliche Tendenzen sind jedenfalls vorhanden”, so der Experte.  Fleisch aus dem Labor müsse in Geschmack und Preis überzeugen sowie gesundheitlich unbedenklich sein, sonst sieht Dürnberger wenig Chancen für diese synthetisch hergestellten Produkte. “Die Menschen sind hier sehr kritisch und verknüpfen unnatürlich mit risikoreich, wie das Beispiel grüne Gentechnik zeigt.”

Darüber hinaus erwartet der Wissenschafter eine weitere Ausdifferenzierung der Konsumenten. “Es wird Gruppen geben, die viel Fleisch zu billigen Preisen wollen, Menschen, die im Außer-Haus-Verzehr auf Fleisch weitgehend verzichten, daheim aber sehr wohl Fleisch konsumieren, sowie Bevölkerungsteile, die Tierhaltung grundsätzlich ablehnen.” Dürnberger rät der Fleischindustrie wie auch der nutztierhaltenden Landwirtschaft, “Probleme selbst und proaktiv zu kommunizieren”. “Die Bürger sollen wissen, wie Fleisch gemacht wird. Wenn sie mit den gezeigten Bildern unzufrieden sind, können sie – sei es politisch oder auch durch ihr Einkaufsverhalten – etwas an den Rahmenbedingungen ändern”, verdeutlichte der Experte.

Alternative Proteine sind ergänzendes Geschäftsfeld für Fleischindustrie

Markus Keitzer, Vorstandsmitglied der PHW-Gruppe, dem größten Geflügelzüchter und -verarbeiter Deutschlands, sieht als Vertreter der Fleischindustrie in alternativen Proteinen ein ergänzendes Geschäftsfeld und keine Konkurrenz. “Wir haben das Know-how, die Infrastruktur, die Logistik, das Qualitätsmanagement. Warum sollte die Fleischindustrie nicht mit anderen Unternehmen in diesem Bereich zusammenarbeiten und sich in Zukunft als Proteinanbieter sehen. Künftig wird es einen Proteinmix aus traditionellem Fleisch, Pflanzen und Zellkultur benötigen und für die Mutigen auch aus Insekten. Wir sprechen hier von einem Wachstumsszenario, das wir sehr ernst nehmen und nicht ins Lächerliche ziehen sollten”, erklärte Keitzer. Der Experte erwartet einen Wechsel von der ersten zur zweiten Generation bei pflanzenbasierten Produkten. “Die zweite Generation bringt ein völlig neues Geschmackserlebnis. Die Erzeugnisse haben einen echten Mehrwert, was das Thema Geschmack angeht. Die Eigenschaften kommen verdammt nah an das Original ran. Somit ist nicht mehr der Veganer die Zielgruppe, sondern der Flexitarier, der zur attraktiven Alternative greift, wenn es eine solche gibt”, erläuterte der Fachmann.

Ein wesentlicher Treiber für die Alternativen sei eine unglaublich innovative Start-up-Szene im Bereich Food-Technologie. “Das sind junge, hochgebildete Unternehmerinnen und Unternehmer, die mit großer Geschwindigkeit und teilweise sehr aggressiv Innovationen hervorbringen, die wir bisher nicht gesehen haben”, so Keitzer. Für Fleischimitate würden hochtechnologische Analysen durchgeführt, um schließlich mit pflanzlichen Bestandteilen sehr nah an das Original heranzukommen. Fleisch aus Zellkulturen und somit aus dem Bioreaktor sei keine Science-Fiction mehr. “Es gibt ausgereifte Prototypen etwa für Burger oder Nuggets. Hier wurde die landwirtschaftliche Kette ausgeschlossen. Allerdings befinden wir uns hier noch in der Laborphase, da hält sich die Kostenstruktur im Rahmen. Bei größeren Dimensionen wird Letzteres eine Herausforderung”, merkte Keitzer an.

Futtermittel stehen weiterhin in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln

Karl Schedle vom Institut für Tierernährung der Universität der Bodenkultur Wien erörterte die Schwierigkeit, Futtermittel zu produzieren, die wenig in Nahrungskonkurrenz zum Menschen stehen. “Die benötigten Mengen solcher Futtermittel gibt es noch nicht”, stellte Schedle klar. Futter, das so wenig wie möglich in Nahrungskonkurrenz stehe, sei meist sehr faserreich, weshalb es davon wiederum mehr Futter brauche, um 1 kg Lebendmasse zu produzieren. Es habe auch Versuche in einem Christian-Doppler-Labor an der Boku gegeben, neue Lebensmittel in die menschliche Ernährungslinie zu bringen. Allerdings mit wenig Erfolg. “Die Weizenkleie-Kekse waren einfach nicht schmackhaft genug”, so Schedle.

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